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Die erste Etappe der Erbrechtsrevision: Teil 2

9. August 2022 - 
Diverses

Am 1. Januar 2023 tritt der sog. politische Teil der Erbrechtsrevision in Kraft. Das sind die wichtigsten Änderungen (Fortsetzung zu Teil 1 vom 19. Mai 2022):

Kurskorrektur bei Erbverträgen: Von Schenkungsfreiheit zu Schenkungsverbot

Eine Erblasserin kann sich durch einen Erbvertrag verpflichten, jemanden als Erben einzusetzen. Nach der heutigen Rechtsprechung bleibt die Erblasserin auch nach Abschluss eines solchen Erbvertrags frei, zu Lebzeiten über ihr Vermögen mittels Schenkungen zu verfügen. Dieser Grundsatz der Schenkungsfreiheit gilt nur dann nicht, wenn der Erbvertrag einen entsprechenden Vorbehalt enthält oder wenn der eingesetzte Erbe den (schwierigen) Beweis erbringen kann, dass die Erblasserin den Erbanspruch durch die lebzeitige Zuwendung schmälern und den eingesetzten Erben dadurch offensichtlich schädigen wollte. 

Diese strenge Rechtsprechung stiess in der Lehre auf Kritik, und das revidierte Gesetz wird sie korrigieren: Neu kann der eingesetzte Erbe lebzeitige Zuwendungen der Erblasserin anfechten, wenn seine erbvertraglichen Ansprüche geschmälert und die Zuwendungen im Erbvertrag nicht vorbehalten wurden (Art. 494 Abs. 3 revZGB); es gilt also neu ein Schenkungsverbot.  

Dieser Kurswechsel ist für künftige Nachlassplanungen unproblematisch. Möchte die Erblasserin über ihr Vermögen zu Lebzeiten weiterhin verfügen dürfen, sind entsprechende Vorbehalte im Erbvertrag vorzusehen. Da das neue Recht aber grundsätzlich auch auf Erbverträge anwendbar sein wird, die unter dem geltenden Recht errichtet wurden, können sich Rechtsunsicherheiten ergeben, wenn die erbvertraglichen Bestimmungen keine klaren Vorbehalte enthalten.

Klarstellung bei der Herabsetzungsreihenfolge 

Eine Person, die nicht dem Werte nach ihren Pflichtteil erhält, kann die Herabsetzung der Verfügungen von Todes wegen und bestimmter Zuwendungen unter Lebenden verlangen, und zwar in der Reihenfolge, dass die späteren vor den früheren herabgesetzt werden. Aufgrund der bestehenden Gesetzesformulierung (Art. 532 ZGB) ist unklar, ob auch das gesetzliche Erbrecht (Intestaterbrecht) herabgesetzt werden kann und ob die übergesetzliche Begünstigung des überlebenden Ehegatten aus Ehevertrag (Art. 216 ZGB) eine Verfügung von Todes wegen oder eine Zuwendung unter Lebenden ist. Das Gesetz klärt diese Rechtsunsicherheiten: Das Intestaterbrecht unterliegt der Herabsetzung und zwar als Erstes, und die Zuwendung aus Ehevertrag ist eine Zuwendung unter Lebenden, die vor den übrigen lebzeitigen Zuwendungen herabgesetzt wird (Art. 532 revZGB). 

Klarstellung bei der gebundenen Selbstvorsorge 3a

Eine weitere Rechtsunsicherheit wird bei der erbrechtlichen Behandlung der Todesfallleistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge 3a geklärt: Neu sollen alle Begünstigten, unabhängig von der Vorsorgeform (Versicherung oder Banksparen), einen eigenen und direkten Anspruch gegenüber der Versicherung oder der Bank haben (Art. 82 revBVG). Die Leistungen aus der Säule 3a gehören damit nicht zur Erbmasse, werden aber für die Berechnung der Pflichtteile berücksichtigt, bei Versicherungslösungen mit dem Rückkaufswert und beim Banksparen mit dem entsprechenden Kapital (Art. 476 und Art. 529 revZGB).

Gilt das neue Erbrecht auch für bereits bestehende Nachlassplanungen?

Ab dem 1. Januar 2023 finden die neuen Bestimmungen auf alle danach eintretenden Todesfälle Anwendung; es gilt das sog. Todestagsprinzip. Das Prinzip gilt grundsätzlich selbst dann, wenn die Erblasserin unter dem heute geltenden Recht ein Testament errichtet oder einen Erbvertrag geschlossen hat. 

Beispiel: Die Erblasserin errichtete im Jahre 2016 ein Testament: "Ich setze meine Tochter zugunsten meines Sohnes auf den Pflichtteil". Dier Erblasserin verstirbt im Jahre 2023. Wollte sie der Tochter leicht weniger (bisheriges Recht: 3/8) geben als dem Sohn (bisheriges Recht: 5/8), oder wollte sie der Tochter möglichst wenig (neues Recht: 1/4) und dem Sohn möglichst viel (neues Recht: 3/4) zuwenden? 

Um solche Unklarheiten und damit oft einhergehende Konflikte zwischen den Erben zu vermeiden, sind bestehende Nachlassplanungen auf ihre Tragfähigkeit unter dem neuen Recht zu überprüfen. 

Fazit und Ausblick

Das neue Recht ändert die gesetzliche Erbfolge nicht. Es bringt aber allen, die ihren Nachlass aktiv planen und sich nicht auf die gesetzlichen Erbfolgeregeln abstützen wollen, mehr Gestaltungsspielraum und damit einhergehend auch mehr Verantwortung. Zu beachten sind insbesondere weiterhin die kantonalen Schenkungs- und Erbschaftssteuern, wenn von der Verfügungsfreiheit Gebrauch gemacht wird. Bestehende Nachlassplanungen sind im Hinblick auf das neue Recht zu überprüfen, und es gilt, Klarheit zu schaffen und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.  

In der Pipeline befinden sich weitere Erbrechts(teil)revisionen, so insbesondere das neue Unternehmenserbrecht und der sog. "technische Teil" der Erbrechtsrevision. Auch diese Revisionsbestrebungen sind aufmerksam zu verfolgen und frühzeitig in die Nachlassberatung und -planung einzubeziehen.

 


 



Louise Lutz Sciamanna

Louise
 
Lutz Sciamanna

CMS von Erlach Partners AG, Zürich

Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Erbrecht, LL.M., Counsel 

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